Massimiliano Polselli
“Nur ein Gott kann uns noch retten”[1]. sagte Heidegger 1966 in einem Interview mit dem Spiegel. Didier Franck zufolge droht eine Gefahr, wenn man die Hilfe eines Gottes anruft. In der Zwischenzeit handelt es sich um eine “radikale” Gefahr, denn angesichts des “Tons” eines solchen Ersuchens dürfte es sich nicht um eine Bedrohung wie jede andere handeln, sondern um ein Risiko, das das Sein selbst in Frage stellt. Das Schicksal des Seins selbst und seine Wahrheit einer Gefahr auszusetzen, die in der Tat übermächtig ist.
In der Zwischenzeit ergibt sich als erstes Element, dass die Gefahr dem Sein selbst angehört, sie ist keine Gefahr außerhalb des Seins, denn Heideggers Hilferuf richtet sich nach außen, nämlich an einen Gott, der das Sein in seiner Totalität von dieser Bedrohung befreien kann.
Daraus folgt, dass die Gefahr von unserem Wesen ausgeht.
Aber diese Bedingung kann durchaus eine andere, noch beunruhigendere Bedingung voraussetzen: Die Gefahr kann nicht zum Sein gehören, ohne dass das Sein selbst die Gefahr ist. Aber wenn schließlich das Sein niemals gegeben oder bestimmt ist, außer im Zeichen einer Epoche, und wenn unsere Epoche die Epoche der Technologie ist, in der “das Sein in seinem Wesen die Gefahr seiner selbst ist”[2]. muss man zunächst feststellen, dass die Technik in ihrem Wesen die radikale Gefahr ihrer selbst ist.
Es ist also notwendig, das Wesen der Technik im Sinne Francks zu klären und zu begreifen.
Man kann mit den technischen Werkzeugen des täglichen Gebrauchs beginnen, um zur eigentlichen Bedeutung der Technik zu gelangen: Wenn man beispielsweise einen elektrischen Schalter betätigt, schaltet man eine Lampe ein, um Licht zu machen. Elektrizität ist Energie, die, um verbraucht zu werden, in einem Wasserkraftwerk erzeugt werden muss, das am Ufer eines Flusses, z. B. des Rheins, steht und dessen Wasser in Turbinen leitet. Der erzeugte Strom wird dann über Kabel, die an Masten befestigt sind, transportiert, um dann nach Belieben verteilt und verbraucht zu werden – allein durch den Druck auf unseren Startschalter. Es zeigt sich also, dass die Technik alles in seiner Gesamtheit an sich selbst sendet!
Das heißt, die Welt des Wassers und damit der Rhein selbst, die Ebene, in der die Hochspannungsmasten stehen, die Geste des Menschen, der das Licht einschaltet, die Behausungen und Orte, die ganze Menschheit ist darauf ausgerichtet, also auf Technik. Alles, was ist, fällt als ständiger Fundus der Verwertung für die Technik oder wird für eine mögliche Verwertung hinterlegt. Die Technik erfindet das Sein als diesen Fonds. Folglich setzt sich das, was ist, nicht mehr als Gegenstand unter dem Gesichtspunkt der Bestimmung des Seins ein, auch nicht als technischer Gegenstand für oder in Bezug auf jemanden oder etwas, denn für die Technik selbst gibt es keine technischen Gegenstände mehr, sondern nur noch den Bestand, ein Begriff, der “Reserve” oder “Depot” bedeutet. Nun ist dieser ontologische Titel, den der Begriff der Technik annimmt, nicht willkürlich, da er mit dem griechischen Sinn von τέχνη zusammenhängt, der sie als eine Art und Weise von ἀληθεύειν beschreibt und nicht als ein Mittel oder Instrument, das einem Zweck[3] entsprechend organisiert ist. Eine Technik ist in der Tat “die Art und Weise zu betrachten, in der etwas entsteht, was sein kann oder nicht sein kann und dessen Prinzip (ἀρχή) im Produzenten (ποιούντι) und nicht im Produkt[4] begründet ist”. Die Technik steht also im Zusammenhang mit der Produktion, mit dem ποίησις. Letzteres ist weder die handwerkliche Produktion noch die Schaffung eines künstlerischen Werkes, sondern, wie schon Platon sagte, die Bewegung, die aus der Nicht-Präsenz in die Präsenz führt. Dieses Kommen gründet sich auf das, was wir “das Entbergen” nennen, und beginnt damit. Die Griechen verwenden dafür das Wort ἀλήθεια[5]. Der φύσις, die Natur, ist also ebenso Teil der ποίησις wie die τέχνη.
Da das Wesen der Technik ein Schicksal der Enthüllung ist, ist der Mensch dadurch selbst gefährdet. Das heißt, der Mensch selbst wird innerhalb eines Mangels an Objekten zu einem “Fonds” für die Technik, er selbst wird zu einer Art Kommissar des Fonds. “Und in diesem Moment rühmt er sich der Rolle des Herrn und Meisters der Erde. Denn er selbst sieht alles, was ihm begegnet, als sein Produkt. Und dieser Schein erzeugt eine letzte Illusion: Es scheint, dass der Mensch überall nur sich selbst begegnet[6]. Nun ist die Figur des Menschen als “Herr und Meister” nicht griechischen Ursprungs, sondern biblisch[7]. In diesen Bibelstellen kann der Mensch als Ebenbild Gottes bezeichnet werden, weil er sich die Erde und die Tiere in gleicher Weise untertan macht, wie Gott über die gesamte Schöpfung regiert. Der Mensch ist das Ebenbild Gottes, weil er der Herrscher ist und weil er seinen Auftrag erhalten hat.
Wenn die Technik den Menschen zum Herrscher über die Erde zu machen scheint, ist der Wille des Menschen, der mit dem allgegenwärtigen Willen der Technik zusammenfällt, zu seinem eigenen Objekt geworden. Das heißt, sie ist die Grundlage und damit die Domäne der modernen Technik. “Die Technik ist die Organisation und das Organ des Willens des Willens”[8]. Der Wille der Technik erschöpft, blutet aus, erschöpft das Sein und führt die Natur zu grenzenloser Verwüstung, indem er sie aus dem Kreis ihrer Möglichkeiten reißt. Dies geschieht jedoch, weil der Wille der Technik tatsächlich vom göttlichen Willen selbst “befohlen” wird.
Die Erde unter den Füßen zertreten, bis zur Erschöpfung. Der Wille des Willens ist also in zwei Richtungen zu verstehen: Der Mensch ist die Erfüllung des göttlichen Willens, wie die Worte des Alten Testaments sagen, und der Mensch sieht dadurch seinen eigenen Willen als fähig an, sich die Erde zu unterwerfen und das Wort des Alten Testaments zu erfüllen. Andererseits fällt der eigene Wille mit dem Willen der Technik zusammen, der die Erde zu Mühsal, Abnutzung und Veränderung des Künstlichen führt und sie aus dem Kreis des Möglichen in Richtung des nicht mehr Möglichen und damit Unmöglichen zwingt[9].
Aber wir könnten das Wesen der Technik nicht vollständig bestimmen, wenn wir nicht zuerst den wesentlichen Charakter des Schöpfergottes bestimmen würden, von dem das Wesen der Technik nur kommen kann.
Erstens setzt die Verkündigung der Gesetzestafeln, die Israel gegeben wurden, die Erwählung und den Bund mit den Menschen voraus[10]. Vor allem aber zeigen sie, dass der Mensch in der Lage ist, auf ein von Gott gewolltes Gebot hin zu wollen. Damit aber wird der menschliche Wille durch den göttlichen Willen negativ, d.h. durch Verbote, bestimmt. Der Mensch ist also der Wille, der das wollen muss, was Gott nicht will.
Kurz gesagt, der menschliche Wille wird von der Negation bewohnt. Mit dem Tod Gottes wird also der Wille des Menschen zum Herrn und zur Herrin der Erde. Solange Gott lebt, bleibt der Mensch also dem Herrn als übergeordneter Macht und Willen unterworfen; mit dem Tod Gottes ändert sich das jedoch. So entfaltet sich das Wesen der Technik als Entfesselung eines Herrschaftswillens als Wesensbestimmung des Menschen und kommt ins Spiel, wenn der Sinn für die Transzendenz eines Gottes und seines Willens geleugnet wird. Solange aber Gott lebt, bleibt der Mensch dem Herrn als einer höheren Macht und einem höheren Willen unterworfen.
Nun aber stellt sich die eigentliche historisch-philologische und philosophisch-ontologische Herleitung des Wesens der Technik. Dies lässt sich nach Heidegger auf das Gegensatzpaar ἀλήθεια/ψεύδος zurückführen, das mit verum/falsum aus der römischen Kaiserzeit, einem Syntagma, letzteres als Wesensmerkmal des alttestamentarischen Gottes bezeichnet und aus dem nach Heidegger das gesamte Missverständnis der gesamten abendländischen Denkgeschichte als metaphysisches Denken von Platon bis Nietzsche entspringt, zum Tragen kommt.
Mit einem komplexen Spiel philologischer Querverweise geht Heidegger vom Wesen des griechischen ψεύδος aus: das ist das lateinische Falsum, dem er die Bedeutung von “fallen” zuschreibt, d.h. fallere, das wiederum vom griechischen Verb σφάλλω ableitbar ist, das ein “in den Irrtum fallen”, “über das Falsche stolpern”, letztlich “sich irren” bezeichnet.
Das Falsum, das dem ἀληθές gegenübersteht, wäre ein solches, d.h. “in den Irrtum zu-fallen”, da es, so könnte man sagen, in einer Weise offenbart wird, wie es sich nicht erwiesen hat, in seiner Nicht-Ganz-so-Schönheit. Das heißt, es ist so, als ob etwas, das sich zunächst auf eine bestimmte Weise manifestiert und uns in einer bestimmten Form erscheint, sich stattdessen auf eine andere Weise offenbart, so dass dies am Ende “den Feind in den Irrtum stürzt und ihn wieder zur Ordnung bringt”.
Nach Franck würde Heidegger so argumentieren[11], weil diese Bedeutung richtig wäre, wenn sie der Bedeutung von ἀλήθεια, eben dem Nicht-Verbergen, dem Falsum als Verbergen, entgegengesetzt wäre. Heidegger selbst interpretiert jedoch gerade diese Stelle nicht so. Denn das Falsum ist nicht deshalb ein solches, weil es sich auf ἀλήθεια in negativer Weise und damit als Verbergung bezieht, denn das griechische Nichtverstehen ist in der Tat schon durch das lateinische Falsum übertroffen und außerdem würde man das eigentliche Wesen von ψεύδος nicht verstehen, da das lateinische Falsum als ‘Fallen’ und ‘Irrtum’ nichts anderes wäre als die Folge des Wesens von ψεύδος selbst, und alles, was zu einem solchen ‘Fallen’ gehören würde, könnte nicht ursprünglich dem ἀλληθές entgegengesetzt sein.
Warum also übersetzten die Römer ψεύδος mit Falsum und machten den Sündenfall zum eigentlichen Wesen des ψεύδος?
In der Tat ist für Heidegger die eigentliche Verbindung des Falsums mit dem Imperium. Bezogen auf die römische Kaiserzeit bedeutet imperium nämlich Befehl oder Ordnung und führt uns zum Befehl eines dominus, der einem dominus unterstellt ist.
Wenn aber der Beherrschte die Befehle, d.h. das imperium oder preceptum, nicht ausführt, muss der Beherrscher den Untergebenen “zurückdrängen”, indem er ihn “wieder zur Ordnung bringt”, und das tut er, ohne ihn “frontal anzugreifen”, sonst würde er ihn eliminieren. Stattdessen “betrügt” er ihn geschickt, indem er ihn wieder zur Ordnung bringt. Und das wird mit einem eindeutigen Verb gesagt, das im Deutschen jedoch eine doppelte Bedeutung hat: hintergehen, wörtlich “hinter seinem Rücken gehen” oder “umgehen”, was die Bedeutung von “täuschen” annimmt, d.h. wiederum “zu Fall bringen”, “in die Irre führen”. Nachdem Heidegger also den Zusammenhang von Falsum und Imperium aufgezeigt hat, verbindet er ihn nun mit dem Wesen des alttestamentlichen Gottes. Der Gott des Dekalogs, den die Septuaginta mit τους δεκα-λόγους (die zehn Reden) übersetzte, scheint, auch wenn dies paradox erscheinen mag, nicht der Bhefelender Gott zu sein, der Gott, der befiehlt, denn die griechischen Übersetzer übersetzten das Wort das Gebot oder der Bhefel nicht mit “Gebot”. Auch Luther verwendete diese Bedeutung nicht und gab dem Begriff Bhefhelen nicht die Bedeutung von “befehlen, gebieten”, sondern von “empfehlen”, so dass Luther selbst bei der Übersetzung eines Psalmwortes “empfehle Jahwe dein Schicksal” mit “Befhiel dem Herrn deine Wege” übersetzt! Nur in der Vulgata des heiligen Hieronymus wird “Gebot” mit praeceptum übersetzt. Aber warum dieser Diskurs? Der Grund dafür ist, die bereits bestehende, dem Falsum entgegengesetzte Ordnung, die ihrerseits dem Verum entgegengesetzt ist, unter das Imperium des Römischen Reiches zu bringen. Wenn die Verbindung zwischen dem jüdischen Gott und dem Gebot nicht so deutlich erscheint, liegt das daran, dass ein anderes Problem auftauchen würde.
Das heißt, der hebräische Gott ordnet trotz seiner absoluten Herrschaft und seiner substanziellen Autorität mit den Zehn Geboten nicht “militärisch”, er ist kein Gott, der sein Volk militarisiert. Er beginnt zwar mit Geboten, aber er verlangt nicht deren militärische Ausführung oder eine unmittelbare Reaktion seines Volkes, sondern er zeigt ihm “Verhaltensweisen” in einer soteriologischen oder erlösenden Perspektive auf[12].
Wenn Heidegger sich nur auf den Gott der Thora bezöge, würde Heidegger selbst einen Fehler begehen, aber das ist nicht der Fall. In der Tat ist der Gott, auf den Heidegger sich bezieht, vor allem der christliche Gott, d.h. der Offenbarungs- und Mensch gewordene. In dem Sinne, dass das römische Imperium als charakteristisches Merkmal die pax romana hat, mit der es den “irrenden” Feind “stürzt” (falsum), indem es ihn zur Ordnung zurückbringt. So wird im Übergang vom weltlichen Imperium zum kurialen Imperium die göttliche Ordnung der übersinnlichen Welt im Heiligen Römischen Reich völlig aufgehoben oder in den Händen des Heiligen Roms verwirklicht: aber Rom ist nicht Jerusalem! Und obwohl der Papst-Kaiser der Stellvertreter Christi auf Erden und die Kirche sein Leib ist, kommt diese Theophanie nicht voll zum Tragen, weil gerade die himmlische Stadt weit entfernt und transzendent bleibt. Daraus ergibt sich die Unantastbarkeit des “imperium”, der himmlischen Herrschaft über die übersinnliche Welt, im Gegensatz zur irdischen Welt! Es ist also noch etwas gegeben. Gewiss ist dieses Etwas absolut weit von aletheia entfernt, da es das Sein von seiner eigenen Wahrheit verdrängt und entfremdet. Dennoch ist das Sein fähig, selbst in seiner extremsten Vergessenheit und Unausgewogenheit mit der Nicht-Verpflichtung, immer noch ein eigenes Schicksal zu senden, das den Menschen immer noch nicht zum Menschen der Technik macht. Sein Wille, sein Befehl war immer noch durch ein Leben nach dem Tod begrenzt!
Aber was das Verum[13] betrifft, so ist es dem Falsum entgegengesetzt. Das heißt, nach Heidegger leitet sich die Vorsilbe von -ver ab, einer indogermanischen Wurzel, die in den deutschen Wörtern die Wehr, Verteidigung, das Wehr, Schranke und in dem Verb wehrn, widerstehen steht. Und im Althochdeutschen bedeutet wer nicht nur ‘sich wehren…’, sondern ‘sich wehren, um…’, d.h. sich durchsetzen, sich behaupten, aufrecht stehen, im Recht sein, kurzum befehlen und nicht fallen. Heidegger wird sich aber auch auf eine andere Wurzel italischen Ursprungs beziehen: der Begriff veru oder verone bedeutet Tür und basiert wiederum auf einem alten Neutrum weurm – Verschluss, abgeleitet von der Wurzel wer aus dem Sanskrit vrnoti, ‘rinserra’, ‘schließt’, deutsch Wehr[14] . Folglich ist das ursprünglichste signifikante Moment, das mit der Wurzel ver verbunden ist, das der Schließung. “Das Ursprüngliche in ‘ver’ und ‘verum’ ist das Verschließen, Bedecken, Verbergen und Beherbergen und nicht die Verteidigung als Widerstand”[15]. Der griechische Begriff, der dieser indogermanischen Wurzel entspricht, ist ερυμα, die Mauer, die Rüstung, der Verschluss.
Verum schützt also, bewahrt vor Risiken, garantiert das Imperium. Verum ist also rectum und iustum, es ist ius verstanden als Gesetz, das befiehlt. Das ist die Essenz der Veritas: rectitudo, Rechtschaffenheit.
Aber nicht nur das! Von hier aus entsteht in der Tat der Zustand der Philosophie als Metaphysik und Seinsvergessenheit. Mit anderen Worten: Heidegger spielt auf die Verwandlung der ἀλήθεια in ὁμοίωσις an, und das kann nur dazu führen, dass der Mensch von seinem ausschließlich “entschleiernden” Moment und seiner Reaktion als einfacher Empfänger der Seinsaussendung selbst zum “Manipulator” des Seinssinns mit seinen Äußerungen, also mit dem λόγος wird. Damit wird “die Übereinstimmung des Wortes mit dem, was es erscheinen lässt, zur normativen Darstellung” der ἀλλήθεια. Hier trifft nun die ἀλήθεια auf die Veritas: ἀλήθεια[16] als ὁμοίωσις wird zur adaequatio. Veritas est adaequatio intellectus ad rem. Das gesamte metaphysische Denken von Platon bis Nietzsche ist so. Für Heidegger schließt die Untersuchung nun mit der Feststellung, dass das Wesen der Technik als Wille des Willens und als das In-sich-ziehen des Seins selbst aus jener Veritas, Verum romana, hervorgeht, die das Imperium mit der Ordnung der Wahrheit, d.h. durch die Konformität mit dem Gesetz, der Geradheit, der Gerechtigkeit, verteidigen muss, und hier führt die Ratio, d.h. das Kalkül, die berechnende Organisation desselben, zum technischen Charakter: zum Maschinismus. Das Imperium erhebt sich zum Wesen der Wahrheit als Rechtschaffenheit, im Sinne der leitenden und organisierenden Gewissheit der Herrschaft. Vom Imperium geht also für Heidegger die Herrschaftsform der modernen Technik aus.
Aber hier ist der Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt, so Franck. Das heißt, da das biblische Gebot nicht auf das Imperium[17] oder das römische Gebot zurückgeführt werden kann, konnte sich der Mensch der Technik nicht als Herr und Meister der Erde rühmen, indem er das Wort des Alten Testaments erfüllte.
Es ist also an der Zeit, den Zustand der “Verwalter der Erde” und der “Herren der Erde” mit der Wahrheit des Seins und seiner Bestimmung zu verbinden. So findet ein weiterer Übergang statt: vom kaiserlichen verum zum modernen certum. Bei Descartes wird die klare und deutliche Selbstwahrnehmung als Merkmal der Gewissheit des cogito hochgehalten, indem er “als allgemeine Regel festlegt, dass alle Dinge, die wir sehr klar und deutlich wahrnehmen, wahr sind”[18]. Damit erhebt er die klare und eindeutige Wahrnehmung ihrerseits in den Rang der Wahrheit als Gewissheit. Aber die klare und deutliche Wahrnehmung selbst leitet das Kriterium der Autorität vom ego cogito ab, und nur von letzterem begründet sie das erste. Aber das ego cogito selbst ist endlich und unvollkommen und hat die Grundlage seines eigenen Seins nicht in sich selbst. Es gibt also eine Idee an sich, die sich als ihr eigenes Fundament offenbart: die Idee von Gott, die Gott selbst in uns gelegt hat. Die Idee des unendlichen Gottes, der alles, was in den Dingen wahr ist, umfasst, ist die letzte Grundlage der allgemeinen Regel, dass eine klare und deutliche Wahrnehmung die Wahrheit bestätigt. Aber es ist daher notwendig, den Ursprung des Irrtums und der Falschheit aufzuspüren, denn das Sein kommt von einem wahren Gott. Nach Descartes entspringen sie dem Erkenntnisvermögen, das in uns ist, und dem Wahlvermögen, also dem Verstand und dem Willen[19].
Aber formal betrachtet sind der Verstand und der Wille als Ganzes vollkommen. Der menschliche Wille ist in dieser Hinsicht dem Willen Gottes gleichgestellt, rein für sich betrachtet ist der Wille nichts anderes als Freiheit. Der menschliche Wille ist frei, wenn er von der Erkenntnis des Guten und Wahren bestimmt ist.
Das heißt, wenn der Wille zum Guten tendiert, ist es der Intellekt, der dem Willen das Perceptum liefert, um zu folgen oder zu fliehen.
Der Irrtum rührt daher, dass der Wille, der viel weiter und umfassender ist als der Verstand, vom Subjekt nicht in denselben Grenzen gehalten wird, sondern sich auf Dinge ausdehnt, die er nicht beabsichtigt, indem er Böses für Gutes oder Falsches für Wahres wählt. Und das führt dazu, dass das Subjekt täuscht und sündigt[20]. Das “Ich” betrügt sich selbst, wenn es seine Freiheit über das hinaus nutzt, was es sich klar und deutlich vorstellt. Wenn aber der Irrtum ein usus libertatis non rectus ist, so ist dies möglich, weil die Wahrheit selbst schon vorher als Rechtschaffenheit verstanden worden ist.
Nach Heidegger findet auf diese Weise bei Descartes eine “Enttheologisierung” statt[21]. Das heißt, die ursprünglichen Aussagen des christlichen Glaubens gehen in die des philosophischen Wissens über. Dies impliziert jedoch eine Verschiebung von der Gewissheit des Glaubens zu der des Wissens, das sich selbst kennt, so dass sich letzteres von ersterem ablöst.
Zum Beispiel die kartesianische Forderung nach einer absoluten und unanfechtbaren Grundlage der Wahrheit
Sie entspringt der Befreiung, mit der sich der Mensch von der Bindung an die Wahrheit der christlichen Offenbarung und der Lehre der Kirche befreit, um ein Gesetz zu schaffen, das auf sich selbst beruht. [22]
So wird die christliche Beschreibung des Menschen als ens finitum durch eine gewisse existenzielle Analytik der modernen Philosophie entideologisiert, so dass es zu einer Umkehrung der Positionen kommt: In denselben Wurzeln der christlichen Dogmatik geschieht es, dass der Mensch selbst zur Transzendenz wird und damit das ontologische Problem in einem existenzialistischen Schlüssel wieder aufmacht. Indem man nämlich ein Konzept der christlichen Dogmatik in die Philosophie einbringt, geht man zu einer schleichenden und radikalen Theologisierung der Philosophie über, indem man Gott selbst in die Vernunft einführt. In der Tat hat die kartesianische Enttheologisierung als letzte Konsequenz die spekulative Assimilation Gottes.
So kann nur Gott selbst mit seinem Tod sich vergessen machen und nur der Tod Gottes kann eine radikale und endgültige Enttabuisierung bewirken. Denn wie jede Bewegung bringt auch die Deteologisierung immer wieder ihren eigenen Ursprung mit sich. Solange der in Christus geoffenbarte Tod Gottes nicht zum Gegenstand einer frontalen Erklärung gemacht wird, solange das Ganze der Offenbarung mehr umgangen als angesprochen wird, bleibt die Bewegung der Enttologisierung von Gott zum Sein und von der Theologie zu einer allgemeinen Ontologie unzureichend. Man kann sagen, dass Descartes auf das cogito überträgt, was der heilige Thomas, der die Gewissheit des Glaubens über die des Wissens gestellt hatte, allein der göttlichen Wissenschaft zuschrieb[23].
Und hier ist Nietzsche. Auch für ihn ist das Reale das Richtige, das sich an das Reale anpasst, um es einzurichten und zu sichern. Das Reale hat den Willen zur Macht als grundlegenden Charakterzug. Der Konformist muss sich nach dem Realen richten, also muss er ausdrücken, was das Reale sagt, nämlich den “Willen zur Macht”.
Sie legt fest, woran sich jede Konformität zu orientieren hat. Was mit dem Willen zur Macht übereinstimmt, ist das Gerechte, d.h. die Gerechtigkeit. Nietzsche verwendet den Begriff “Leben” auch häufig, um den “Willen zur Macht”[24] auszudrücken. Gerechtigkeit ist also der höchste Repräsentant des Lebens selbst, als Wille zur Macht: Gerechtigkeit, im nietzscheanischen Sinne, stellt den Willen zur Macht dar. Darüber hinaus ist die göttliche Gerechtigkeit sowohl eine Gerechtigkeit in Gott als auch eine, die aus rationalen und freiwilligen Handlungen kommt, d.h. sie kommt auch aus Werken, und so ordnet Heidegger das Wort göttliche Gnade, Gerechtigkeit in Gott dem Wort Sein unter[25].
[1] «Spiegel-Gespräch», in Der Spiegel, Nr. 23/1976, pag. 209.
[2] «Die Gefahr», in Bremer und Freiburger Vorträge, Gesamtausgabe (G.A.), Bd. 79, pag. 54.
[3] Cfr. Etica Nicomachea, 1139 b 15 sgg.
[4] Id., 1140 a 12 sgg. Cfr. Heidegger, Platon: Sophistes, G. A. Bd. 19, pagg. 40 sgg. e «Die Frage nach der Technik», in Vorträge und Aufsätze, pag. 17; trad. Franc. pagg. 18-19; trad. it. pagg. 9-10.
[5] «Die Frage nach der Technik», in Vorträge un Aufsätze, pag. 15; trad. it. pag. 9. Qui Heidegger cita il Convivio, 205 b.
[6] Id., pag. 22; trad. it. pag. 14.
[7] Si tengano presenti qui le citazioni bibliche ed evangeliche: Salmo XCVII, 5 cfr. Isaia, XLI, 15-16, Matteo, XI, 25; cfr. Luca, X, 21, ed Atti, XVII, 24; I Cor. X, 26 e Salmo XXIV, 1. Genesi, I, 27-28.
[8] Heraklit, G. A., Bd. 55, pag. 192.
[9] «Überwindung der Metaphysik», in Vorträge und Aufsätze, pag. 94
[10] Esodo, XX, 2.
[11] Parmenides, G. A., Bd. 54, pag. 58
[12] Nel 1935, nell’Introduzione alla metafisica, Heidegger aveva però tradotto «οί δέκα λόγοι» con «Die zehn Gebote Gottes»; G. A., Bd. 40, pag. 143.
[13] Cfr. Introduzione alla metafisica, Heidegger, pag. 60 sgg.
[14] E. Benveniste, Le vocabulaire dei institutions indo-européennes, tomo 1, pag. 311.
[15] Id., pag. 111 sgg.
[16] Parmenides, G. A., Bd 54, pagg. 70-71.
[17] Id., pag. 74 sgg.
[18] Meditation III, in Descartes, Œuvres, edizione Adam-Tannery, IX-1, pag. 27.
[19] Meditation IV, id., pag. 45 (trad. it. pag. 52); cfr. Einführung in die Phänomenologische Forschung, G. A., Bd. 17, pagg. 130 sgg.
[20] Cfr. Sant’Anselmo che, nel De veritate, definisce la verità come «la rettitudine percepibile al solo spirito» e, nel De libertate arbitrii, il libero arbitrio come “il potere di salvaguardare la rettitudine della volontà per la rettitudine stessa”, in L’œuvre d’Anselme de Canterbury, ed. M. Corbin, tomo II, pagg. 160 e 218
[21] Einführung in die phänomenologische Forschung, G. A. Bd. 17, pagg. 159 e 311.
[22] «Die Zeit des Weltbildes», in Holzwege, G. A., Bd. 5, pag 107; cfr. Nietzsche, Bd. II, pag. 144 sgg. e 320 sgg.
[23] Cfr. Summa teologica, II-II, Q. 9, art. 1, sol. 1 et Q. A, art. 8.
[24] Parmenides, G. A., Bd. 54, pag. 77.
[25] Disputatio contra scholasticam theologiam. 1517, tesi n° 40, in Werke, Bd. I, pag. 226.